Zitat von ArteMittwoch, 15. Juni 2011 um 20.15 Uhr
Wiederholungen: 21.06.2011 um 10:00 Tagebuch eines Lagerkommandanten (Deutschland, 2010, 52mn) RB Regie: Anja Krug-Metzinger
Die Lager für sowjetische Kriegsgefangene während des Zweiten Weltkriegs waren lange Zeit ein weitgehend unbearbeitetes Thema. Im Tagebuch eines ehemaligen Lagerkommandanten fanden sich Belege für systematischen Tod durch Hunger und Kälte, Seuchen und Misshandlungen. Johannes Gutschmidt hatte seinen Alltag in mehreren Lagern minutiös schriftlich festgehalten. Der Dokumentarfilm zeichnet die Biografie eines Mannes nach, der zum Täter wurde, und stellt gleichzeitig die Frage nach der Verantwortung.
Eine fast unbekannte Tragödie ist das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangenen während des Zweiten Weltkriegs. Von ungefähr 5,5 Millionen sind drei Millionen in deutschen Lagern umgekommen. Dort mussten sie systematisch verhungern und erfrieren. Sie starben an Misshandlung, Entkräftung oder fielen Seuchen zum Opfer. Über die Lager für Kriegsgefangene im Dritten Reich gab es bisher kaum Belege. Aufsehen erregte deshalb im Jahr 2001 ein außergewöhnlicher Fund: ein Tagebuch, in dem ein Kommandant seinen Alltag beschreibt. Johannes Gutschmidt war zwischen 1939 und 1944 Kommandant mehrerer Durchgangslager für russische Kriegsgefangene in Polen, in der Sowjetunion und in Weißrussland - dem Zentrum des Massenmordes an sowjetischen Kriegsgefangenen. Detailliert belegt das Tagebuch die Schrecken des Lagerlebens - Kälte, Hunger, Kannibalismus, Selbstmord - und enthüllt gleichzeitig die Biografie eines Mannes. Es beschreibt einen kaisertreuen Offizier, der nicht mit den Nationalsozialisten sympathisierte und dennoch zum Täter wurde. Das Tagebuch des Johannes Gutschmidt ist das Verlaufsprotokoll einer Katastrophe. Und es stellt erneut die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen in der Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten.
Ein Teil der eindringlichen Filmaufnahmen wurde von dem im Jahr 2008 verstorbenen Kameramann Edward Klosinski gedreht. Klosinski gehörte zu den international anerkannten polnischen Kameraleuten, die seit den 70er Jahren das Kino Europas bereicherten. So zeichnete er unter anderem für die Kameraarbeit in Krzysztof Kieslowskis "Drei Farben: Weiß" oder in Dieter Wedels Mehrteiler "Der große Bellheim" verantwortlich.